Autorin: Theresa Imre
Kühlschrank auf und mal ganz ehrlich: Bei wie vielen Produkten weißt du genau Bescheid, woher sie kommen und wer sie hergestellt hat? In den letzten 50 Jahren hat sich unsere Ernährung komplett verändert. Seit dem ungebändigten Globalisierungsboom der 80er Jahre sowie dem starken Hang zur Kosten-Optimierung und Output-Steigerung in der Wertschöpfungskette, ernähren wir uns:
- von Brot-Teiglingen aus Billiglohnländern – die frisch in der Filiale aufgebacken werden und dadurch ‚Hergestellt in Österreich‘ sind
- von Äpfeln aus Neuseeland – die besonders lange im Regal liegen können und bessere Margen als die heimischen erzielen,
- und von argentinischem Rindfleisch – dass mit Unmengen an Kraftfutter auf engem Raum gemästet wird und für das schnelle Wachstum 15.000 Liter Wasser pro Kilo Fleisch benötigt.
Wen interessiert‘s? Aktuell noch eher die Minderheit, die Ökos, die Weltverbesserer, Gutmenschen und Bobos. Den der Weber-Grill zählt als Status-Upgrade noch immer mehr, als die Melanzani oder das Würstel darauf. Jetzt kann man lang und breit analysieren, woran das liegt, dass unser Essen seinen Wert verloren hat und regionale Produkte aus den Regalen verschwinden. Vielleicht hat unsere Bequemlichkeit den Zugang verändert. Alles muss schnell gehen & satt machen, da schaut man am ehesten auf den Preis. Vielleicht lösen andere Dinge den Wert des Essens ab, die ganze Fast Fashion, Fast Phones und Fast Cars Industrie muss ja auch bezahlt werden. Wodurch wir aktuell übrigens nur mehr knapp über 10% des Einkommens für Essen ausgeben – in den 80ern waren es noch mehr als 25%. Oder ist es dann doch ein Thema der Macht und politischen Strukturen? Es liegt an jedem einzelnen, was er/sie konsumiert und damit fördert, aber wer bestimmt, was alles möglich ist?
SOZIALE DIMENSION: Auslagern von Externalitäten vs. ein Gegenüber haben
Corona hat den Leidensdruck in unserer Blase ansteigen lassen. Auf einmal zählt die lokale und regionale Wirtschaft, die Unterstützung der Betriebe ums Eck – von der Bäuerin bis zur Wirtin – man möchte ein Zeichen mit seinem Einkauf setzten. Warum erst jetzt? Weil unsere Konsumwirtschaft die Produktion soweit und so günstig wie möglich ausgelagert hat, aber es an Transparenz fehlt, was wir anderenorts ausnützen und unterdrücken. In den letzten 30 Jahren mussten in Österreich 42% der regionalen Betriebe aufgrund des globalen Preisdrucks schließen. Das alles ändert sich, wenn wir Zeit zum Nachdenken haben und es zum Thema wird, dass Österreicher*innen nicht zu den Löhnen der Erntehelfer*innen auf heimischen Feldern arbeiten wollen. Wenn die Anonymität verloren geht und das Bewusstsein steigt, kommt zwangsläufig die Verantwortung. Somit ja, Regionalität macht Sinn.
ÖKOLOGISCHE DIMENSION: Transportweg vs. die wahren Co2 Treiber
Es ist schier unmöglich eine einfache Kennzahl für ein Lebensmittel festzuschreiben, ob es nun besser ist oder nicht – das System ist zu komplex dafür. Die Landwirtschaft ist für 31% der globalen Klimagasemissionen direkt verantwortlich – inkl. Verarbeitung, Transport, Kühlung, Erhitzung, Zubereitung und Entsorgung landen wir bei über 40%. Die Wahl was wir essen, bestimmt unseren Fußabdruck mehr, als woher es kommt. Denn abseits von eingeflogenem Lebensmittel wie frische Beeren, sind es vor allem Fleisch und Milchprodukte, deren Produktion das Klima enorm belasten. Industrielle Butter hat einen 150-fachen, Rindfleisch einen 90-fachen CO2-Ausstoß wie regionales Bio-Gemüse. Und trotzdem, die höchsten Treibhausgasemissionen sind mit den intensiven, produktivitätssteigernden Bewirtschaftungssystemen verbunden, da liegt die kleinstrukturierte Landwirtschaft, die es in Österreich noch gibt, gegenüber den Agrarriesen in Deutschland, Spanien, klar im Vorteil.
ÖKONOMISCHE DIMENSION: regional vs. bio, oder die Seiten derselben Medaille
Sich auf diese Debatte einzulassen, ist ein Kampf auf der falschen Bühne. Es geht nicht um ein Entweder–Oder, sondern um das Verständnis, woher der jeweilige Beweggrund kommt. Am Land zählt die Nähe, das Regionale, oft mehr. Man will sich gegenseitig unterstützen, auch wenn der konventionelle Abbau die Böden zerstört. In der Stadt verschwinden die nachbarschaftlichen Beziehungen und die anonyme Kaufentscheidung schaut vermehrt auf das eigene Wohl, die Umwelt als Ganzes. Man greift zu Bio, das durch die Handelsketten zum wirklich großen Business geworden ist, der Preis-Kostendruck für landwirtschaftliche Betriebe bleibt und die Erntehelfer*innen stehen auch hier ganz am Ende der Kette. Es ist wichtiger, über die Abhängigkeiten und Machtstrukturen zu diskutieren, als sich durch vereinfachte Werbebotschaften blenden zu lassen.
ZUKÜNFTIGE DIMENSION: Was macht markta anders
Die regionale Landwirtschaft ist somit nicht das Allheilmittel für die verpfuschten Entscheidungen der letzten Jahrzehnte. Was es braucht, ist ein Lebensmittelsystem, das die wirtschaftlichen Strukturen wieder lokal verankert und die Marktmacht von einzelnen Playern (vom Saatgut, über die Verarbeitung bis zum Handel) aufbricht und verteilt. Damit die Wertschöpfung direkt am landwirtschaftlichen Betrieb bleibt und man sich flexibel auf die lokalen Umwelt- & verändernden Klimabedingungen anpassen kann.
Quellen:
- Albrecht, S, et. al. Weltagrarbericht: Synthesebericht. Hamburg University Press, 2009.
- Agrar-Atlas: Daten und Fakten zur EU-landwirtschaft. Heinrich-Böll-Stiftung,
Berlin. Alló, M., Loureiro, ML, Iglesias, E., 2015. - Statistik Austria, Konsumerhebung 2014/15. Monatliche Verbrauchsausgaben der privaten Haushalte–Bundesländerergebnisse, 2016.
- Ermann, Ulrich, et al. Agro-food studies: Eine Einführung. 2017
- Nowack, W. et al. Wachsen oder weichen!? Eine Analyse der agrarstrukturellen Debatte im Kontext der EU-Agrarpolitik nach 2020.
Veröffentlicht als Gastbeitrag von Theresa Imre in Trending Topics am 07.05.2020