Durch die Coronakrise ist das Bewusstsein für regionale Lebensmittel stark gestiegen – dennoch profitieren Kleinproduzent*innen nur bedingt von diesem Boom.
Mit dem Aufkommen von Covid-19 ist ein neues Bewusstsein für „systemrelevante Arbeit“, regionale Produkte und die Unterstützung österreichischer Betriebe entstanden1. Die Abhängigkeit von deren – im Alltag kaum wahrnehmbaren – Versorgungsstrukturen war an leeren Regalen, Lieferengpässen und langen Warteschlangen vor den Supermärkten plötzlich gut erkennbar. Die Lebensmittelbranche, von den Medien ansonsten nur wenig thematisiert, rückte in den Vordergrund. Öffentliche Danksagungen und Plakatserien mit dem Aufruf zur Unterstützung regionaler Lebensmittel folgten. Eine zentrale Frage blieb hierbei aber unbeantwortet: Wieso sind Kleinproduzent*innen nur in Krisen oder im Urlaub am Bauernhof sichtbar – ist das überhaupt fair? Anlass genug für einen Faktencheck! Wie sieht es in Österreichs Lebensmittelsektor aus? Wer bekommt hier den größten Anteil vom Kuchen? Wer entscheidet darüber, was in den Regalen steht? Und noch viel wichtiger: Kann man angesichts globaler Lieferketten und mäßigem Interesse an der Herkunft unserer Lebensmittel daran überhaupt etwas ändern?
Wer bäckt den Kuchen?
Österreich ist ein gesegnetes Land, wenn es um die Anzahl seiner landwirtschaftlichen Betriebe geht – rund 162.000 Produzent*innen2 stellen eine Vielzahl großartiger, regionaler Produkte her: Alle, die schon einmal den Unterschied zwischen frischem Obst und Gemüse vom Feld und Standard-Importwaren aus den Supermarktregalen geschmeckt haben, wissen hierüber bestens Bescheid. Der dadurch generierte Gesamtproduktionswert beträgt, gemäß einer Vorschätzung der Statistik Austria für das Jahr 2019, unglaubliche 7,6 Milliarden Euro3. Um diese enorme Summe zu erwirtschaften, waren 115 Jahresarbeitseinheiten (JAE) notwendig, was – pro JAE – der Arbeitsleistung einer Person entspricht, die das gesamte Jahr über ganztägig an einer landwirtschaftlichen Produktion beteiligt ist4. Die Kehrseite der Medaille sind hohe Lebensmittelimporte, durch welche viele heimische Landwirt*innen unter starken Preisdruck gesetzt werden. Diese bangen dadurch um ihre Existenz – so mussten seit 2012 etwa 19.000 landwirtschaftliche Betriebe schließen5.
Dem gegenüber fand eine aktuelle Studie der Johannes-Kepler-Universität und der Gesellschaft für angewandte Wirtschaftsforschung heraus, dass eine Reduktion der Importe von 10 Prozent schon ausreicht, um im Inland 23.000 Arbeitsplätze zu schaffen. Die hiervon angestoßene Wertschöpfungskette würde von rein ökonomischen Faktoren – Erhöhung des Bruttoinlandprodukts (BIP) um 2,3 Milliarden Euro sowie ein Plus an Steuereinnahmen von 700 Millionen Euro – bis hin zu umweltrelevanten Aspekten (kürzere Transportwege etc.) reichen6. Insgesamt zeigt sich also, dass das Potenzial zu weit höherer Selbstversorgung durchaus gegeben ist. Wieso dieses dennoch nicht umgesetzt wird, soll der nächste Abschnitt über Marktmacht und Verteilungsproblematik erklären.
So wird der Kuchen verteilt
Während die Vielfalt an regionalen Produzent*innen und Produkten eigentlich unüberschaubar groß ist, sieht es auf dem österreichischen Lebensmittelmarkt ganz anders aus.
Hier entscheiden nämlich die drei Giganten Rewe, Spar und Hofer mit einem Gesamtanteil von 86% darüber, was zu welchem Preis hergestellt werden soll und ob ein Produkt überhaupt im Regal landen- und damit die Wahrnehmungsschwelle der Konsument*innen erreichen darf7. Zudem setzen die großen Handelsketten speziell in den Branchen Fleisch, Back-und Süßwaren, sowie bei Erfrischungsgetränken stark auf Eigenmarken. Die Großbetriebe von Rewe, Spar und Co. treten dann als eigenständige Akteure in den Lebensmittelmarkt ein. Sie erzeugen dadurch enormen Preisdruck für klein-und mittelständische Unternehmen. Letztere verfügen zumeist aber weder über vergleichbare Werbebudgets (für eine breitenwirksame Vermarktung), noch über die technischen Ressourcen, um konkurrenzfähig bleiben zu können8. Von den im Jahr 2018 erwirtschafteten 21 Milliarden (!) Euro Handelsumsatz9 sahen die tatsächlichen Erzeuger*innen der Nahrungsmittel aber nicht viel. So lässt sich am Beispiel des Apfels leicht erkennen, dass in unserem System etwas gewaltig schiefläuft10:
Als direkte Folge ist es für landwirtschaftliche Betriebe, Kleinproduzent*innen und Nahversorger äußerst schwierig geworden, in einem derart zentralistischen und trotzdem ineffizienten System – man denke an die jährlich vom Handel weggeworfenen 68.000 Tonnen an Lebensmitteln11 – zu überleben. Das Verhältnis der Handelsketten zu ihren Produzent*innen kann also, salopp gesprochen, mit einer „Friss oder stirb“-Mentalität charakterisiert werden. Unfair? Definitiv!
Wer kauft den Kuchen?
Da an einem Missstand selten nur eine Seite beteiligt ist, muss auch die – wiewohl systemisch bedingte – Konsumeinstellung der Käufer*innen kritisiert werden. Das gegenwärtige Motto im Lebensmittelhandel „je günstiger, desto besser“ sorgte erst unlängst in Deutschland für hitzige Debatten12.
Aber auch in Österreich ist eine fehlende Wertschätzung und Bereitschaft, regionale und qualitative Nahrungsmittel mit entsprechenden Preisen zu bezahlen, bemerkbar: Gemäß eines Beitrags der österreichischen Lebensmittelindustrie werden nur knapp zehn Prozent des Einkommens für Nahrungsmittel (exklusive Restaurantbesuche) aufgewendet13 – im Vergleich zu noch 20 Prozent in den 1980ern14. Auch die zahlreichen Food-Trends, von Do-it-yourself, Glokal bis hin zu Convenience 3.0 werden hier in absehbarer Zeit nicht zu strukturellen Umbrüchen führen. Andere Produkte, wie Kleidung oder Smartphones, genießen hingegen einen deutlich höheren Stellenwert in der Gesellschaft. Dies erklärt sich unter anderem durch die starke soziale Verankerung jener Konsumgüter. Beispielweise würde der Verzicht auf ein Smartphone für viele Menschen mit einem Verlust an Partizipationsmöglichkeit gleichgesetzt14. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass sich mit der Covid-19-Krise die allgemeine Bewusstseinslage etwas zurechtgerückt hat – immerhin möchte fast die Hälfte aller Österreicher*innen15 auch weiterhin regional einkaufen, viele davon direkt am Bauernmarkt:
Quelle: Siehe S.9 – https://amainfo.at/fileadmin/user_upload/Fotos_Dateien/PA_Einkaufsverhalten_Corona.pdf
markta machts anders!
markta meint: Es kann nicht sein, dass der Selbstversorgungsgrad bei Gemüse in Österreich nur annähernd 50 Prozent beträgt16, Kleinproduzent*innen aussterben und der Lebensmittelhandel einem Oligopol (=einige wenige Anbieter bestimmten den Markt) gleicht. Deshalb arbeiten wir mit aller Kraft daran, ein Versorgungsnetzwerk aufzubauen, bei dem die lokale Verankerung mit digitalen Strukturen und kurzen Versorgungswegen Hand in Hand geht. Wir sorgen mittels dezentraler Logistik sowie unabhängiger Betriebe für eine Demokratisierung des Handels und schaffen Aufmerksamkeit für die harte Arbeit, die hinter regional gewachsenen Nahrungsmitteln steckt. Das Resultat ist eine engere Beziehung zwischen Produzent*innen und Konsument*innen, Fairness in der Kommunikation und auch Fairness im Preis. Bei markta bekommen Bäuer*innen bis zu 7-mal mehr bezahlt, als bei den großen Handelsketten – ganz ohne Abhängigkeitsverhältnisse, Preisvorgaben oder Mindestmengen. markta – weil’s Sinn macht!
Schau dich doch in unserem markta Magazin um. Vielleicht interessiert dich ja unser Beitrag über den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Landwirtschaft!
Quellenangaben:
1 Siehe: https://amainfo.at/article/einkaufen-in-corona-zeiten-seltener-dafuer-mehr-menge
4 Siehe S. 73: http://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_NATIVE_FILE& RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=121872
7 Siehe S.2: https://senat-oesterreich.at/wp-content/uploads/2018/04/SdW-Pl%C3%A4doyer-2018-03-LEH-FINAL1.pdf
8 Ebenda, S. 3
10 Siehe: https://www.derstandard.at/story/2000114170098/drei-euro-fuer-ein-kilo-huhn-wie-kann-sich-das
13 Siehe: https://www.oesterreich-isst-informiert.at/industrie/lebensmittelkonsum-so-isst-oesterreich/
14 Siehe: https://www.statistik.at/wcm/idc/groups/b/documents/webobj/mdaw/ mte1/~edisp/115638.png
16 Siehe: https://amainfo.at/article/einkaufen-in-corona-zeiten-seltener-dafuer-mehr-menge
Für eine weiterführende Lektüre sei an dieser Stelle der „Agrar Atlas 2019“ empfohlen: https://www.global2000.at/sites/global/files/Agrar-Atlas-2019.pdf